EMV-Schirmung und Thermik – auf der Suche nach der besten Lösung

Veröffentlicht 30.03.2023

Emittiert ein elektrisches Gerät elektromagnetische Strahlung, müssen zulässige EMV-Grenzwerte eingehalten werden. Oft wird dazu ein Schirmgehäuse genutzt, das leider auch die Kühlung der elektronischen Komponenten negativ beeinflusst. Lesen Sie hier, wie dieser Zielkonflikt mit Hilfe von CST Studio Suite aufgelöst werden kann.

Redaktionsleitung
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Senior Consulting 3DS-PLM | Redakteurin 3DS-PLM Technisches Magazin
Autor*in
Jochen Kinzig
Jochen Kinzig
Senior Consultant Simulation

Gute Durchlüftung im geschlossenen Schirmgehäuse - ein Konflikt, der zu lösen ist

Ein gutes Schirmgehäuse hat möglichst wenige Öffnungen, weil diese die elektromagnetische Schirmung verschlechtern. Gleichzeitig bringen elektronische Komponenten Wärme in das System ein, die über Gehäuseöffnungen wieder abgeführt werden muss. Beide Effekte müssen also gemeinsam betrachtet werden.

CST Studio Suite bietet hierzu die passenden Werkzeuge. Zur Vorstellung des Workflows wird eine einfache Elektronik mit einer Leiterplatine und einigen wenigen Komponenten betrachtet.

Im Gehäusedeckel sind Lüftungsschlitze auf einer Fläche von 30x30mm eingebracht. Um Konvektion zu erzwingen, wird an den Lüftungsschlitzen ein kleiner Lüfter mit einem Volumenstrom von 1,2m³/h vorgesehen. Als Schirmdämpfung wird bei 150MHz ein Wert von 40dB angestrebt, die Komponententemperaturen sollen im Betrieb nicht über 150°C steigen.

Um die beiden Disziplinen (EMV und Thermik) gemeinsam betrachten zu können, werden auf Basis dieser Geometrie zwei Projekte in CST Studio Suite erzeugt. Wird die Geometrie modifiziert, ändert sie sich in beiden Projekten automatisch mit, sodass sehr einfach eine parametrische Studie durchgeführt werden kann.

Realitätsnahe Temperaturberechnung dank integrierter Strömungssimulation

Für die thermische Berechnung kommt der CHT-Solver (Conjugate Heat Transfer) in CST Studio Suite zum Einsatz. Hier werden neben der Wärmeleitung auch die Wärmestrahlung und die Konvektion berechnet. Dadurch ist es möglich, den Einfluss der Lüftungs-Geometrie auf die Komponententemperatur direkt zu bewerten.

CST Studio Suite bietet viele Möglichkeiten, erzwungene Konvektion zu betrachten. Im vorliegenden Fall wird eine Luftströmung über den kleinen Lüfter erzwungen (siehe Abbildung 2). Die Wärmeübergangskoeffizienten ergeben sich unmittelbar aus der Strömungssimulation und müssen somit nicht durch den Benutzer vorgegeben werden. Auch die Erwärmung der umgebenden Luft wird dank der Strömungssimulation korrekt berücksichtigt. Auf die elektronischen Komponenten werden die betreffenden Verlustleistungen aufgebracht. Diese können entweder aus einer vorgeschalteten elektrischen Simulation stammen oder manuell vorgegeben werden.

Für das hier untersuchte Gerät ergibt sich aus der thermischen Simulation eine maximale Temperatur von 160°C an einer der Komponenten (siehe Abbildung 3). Der Grenzwert von 150°C wird also überschritten.

EMV-Simulation – von der leitungsgebundenen Störung zum abgestrahlten Feld

Bei der EMV Simulation werden die relevanten Leiterbahnen über einen Port angeregt, so dass die Abstrahlung anhand der realen Geometrie berechnet wird. Die Berechnung wird einmal mit Schirmgehäuse und einmal ohne durchgeführt, um daraus die Schirmdämpfung berechnen zu können.

CST Studio Suite bietet hierzu sehr komfortable Makros, mit denen Fernfeld-Sensoren automatisch im Raum platziert werden können (zum Beispiel sphärisch in 3m Abstand). Im automatischen Post-Processing wertet CST Studio aus den Berechnungen mit und ohne Gehäuse die resultierende Schirmdämpfung in Abhängigkeit der Frequenz aus. Diese Auswertung erfolgt an allen Sensoren gleichzeitig, um die minimale Schirmdämpfung zu finden.

Für das hier betrachtete Beispiel liegt die Schirmdämpfung im relevanten Frequenzbereich nur bei 33dB. Das bedeutet, dass neben der Temperaturgrenze auch die Schirmdämpfungsanforderung verfehlt wird.

Auf der Suche nach der besten Lösung

Die zulässige Komponententemperatur wird um 10°C überschritten und die Schirmdämpfung ist um 7dB zu gering. Um zu verstehen, wie sich die Gestaltung der Lüftung auf Temperatur und Schirmung auswirken, wird eine kleine Variantenstudie durchgeführt. Abbildung 5 zeigt links, die Basis-Variante und daneben zwei zusätzliche Varianten.

In Bild 6 werden die Ergebnisse dieser Variantenstudie zusammengefasst. Zuerst werden die Länge und die Breite der Lüftungsschlitze verdoppelt. Dadurch hat ein zweiter Lüfter Platz, der direkt neben dem ersten platziert wird. Es wird also nun ein Luftvolumenstrom von 2,4m³/h erzwungen. Dadurch sinkt die Temperatur zwar um ca. 10°C, aber die Schirmdämpfung wird leider auch um 12dB reduziert. Das bedeutet, dass mit dieser Schirmvariante eine um Faktor 4 größere abgestrahlte Feldstärke gemessen wird als mit der Basis-Variante.

Aufbauend auf der Variante mit längerem Lüftungsbereich werden die Lüftungsschlitze verdreht (siehe Abbildung 5, rechts). Die Idee dabei ist, dass der Rückstrompfad im Gehäusedeckel durch geschickte Verdrehung der Lüftungsschlitze eine niedrigere Impedanz (Wechselstromwiderstand) aufweist. Dadurch wird die Schirmwirkung verbessert. Und tatsächlich zeigt die Berechnung, dass eine Schirmdämpfung von 50dB erreicht wird. Variante 3 erfüllt damit die Anforderung an die Schirmung. Besonders bemerkenswert ist, dass gleichzeitig die Temperatur um ca. 10°C gesenkt werden kann, verglichen mit der Basis-Variante.

Die Studie zeigt also, dass der Zielkonflikt durch geschickte Gestaltung aufgelöst werden kann. Als weiterführende Untersuchung ist nun interessant, ob sowohl Temperatur als auch Schirmung mit einer gewissen Sicherheitsreserve eingehalten werden können. Hierzu kann eine Designraumanalyse mit Isight oder dem Process Composer in der 3DEXPERIENCE Plattform helfen, mit einer Mehrzieloptimierung den besten Kompromiss zu finden. Ein Praxisbeispiel zur Mehrzieloptimierung sehen Sie unter anderem auch im Webinar Elektromagnetisch-thermische Simulation mit CST.

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