Modulare EMV-Simulation im & mit System

Veröffentlicht 26.07.2022

Schaltende Halbleiter in der Leistungselektronik verursachen Störungen, die sich leitungsgebunden im kompletten elektrischen System fortpflanzen können. Der Trend hin zu schneller schaltenden Halbleitern führt zu hochfrequenten Störungen, die durch geeignete Filtermaßnahmen reduziert werden müssen. Lesen Sie hier, wie 3D-Simulationsmodelle eine zielgerichtete Filterauslegung ermöglichen.

Redaktionsleitung
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Senior Consulting 3DS-PLM | Redakteurin 3DS-PLM Technisches Magazin
Autor*in
Jochen Kinzig, Dipl.-Ing.
Dipl.-Ing. Jochen Kinzig
Consultant FEM 3DS-PLM

Um beispielsweise eine Zulassung für das Antriebssystem eines elektrischen Fahr­zeugs zu erhalten, müssen entsprechende EMV-Tests (z.B. nach CISPR 25) bestanden werden. Eines der Kriterien ist die Funkstörspannung, die an einer Bordnetznachbildung (LISN) gemessen wird. Überschreitet die durch den Inverter ausgesendete Funkstörspannung die zulässigen Grenzwerte, so müssen geeignete Entstörungsmaßnahmen eingeleitet werden, wie z.B. Filter.

REALITÄTSNAHE 3D-SIMULATIONSMODELLE ERMÖGLICHEN EINE ZIELGERICHTETE FILTERAUSLEGUNG

Das Ziel muss also sein, den freigaberelevanten EMV-Test möglichst beim ersten Versuch zu bestehen. Um hier erfolgreich zu sein, muss bei der Entwicklung neuer Systeme die EMV-Konformität von Anfang an ein treibendes Kriterium sein. CST Studio Suite bietet alle nötigen Werkzeuge, um den kompletten Entwicklungsprozess zu begleiten.

Um beispielsweise die Wirksamkeit möglicher Filtermaßnahmen sehr früh bewerten zu können, muss das komplette System betrachtet werden. Der Versuchsaufbau nach CISPR 25 wird hierzu als elektrisches Netzwerk mit 1D-Schaltelementen aufgebaut. Die zu untersuchende Leistungselektronik wird als virtueller Prototyp in dieses Netzwerk integriert. Jede Komponente der Leistungselektronik kann hierbei sowohl als einfache 1D-Schaltung idealisiert oder als detaillierte 3D-Simulation eingebunden werden. Die Geometrie für das 3D-Modell wird dazu entweder als CAD-Datei importiert oder sie wird in der GUI von CST Studio Suite erstellt. Anwendungsbezogene Templates in CST Studio Suite erleichtern den Modellaufbau, da wichtige Voreinstellungen bereits automatisch erledigt werden. In der 3D-Simulation werden die Maxwell-Gleichungen vollständig gelöst. Dabei können relevante Materialeigenschaften wie z.B. die frequenzabhängige, komplexe Permeabilität für das Ferrit-Material oder auch Verlustfaktoren für Dielektrika berücksichtigt werden. Eine solche Detailtiefe ist nur mit einer 3D-Simulation möglich. Als Ergebnis können z.B. S-Parameter oder auch Impedanzen der berechneten Struktur ausgewertet werden. Außerdem kann das 3D-Modell automatisch in ein reduziertes, äquivalentes Ersatzschaltbild umgewandelt werden, das in das elektrische Netzwerk integriert wird. So werden Impedanzen und Dämpfungsverhalten bereits in der System­simu­la­tion realitäts­nah abgebildet.

Da das 3D-Modell mit dem Netzwerk gekoppelt ist, kann nach der Systemsimulation auch der Weg zurück in die 3D-Welt erfolgen, um die Feldergebnisse im simulierten Betriebspunkt zu analysieren. Nach dem Motto „make the invisible visible“ können Koppelpfade dargestellt und abgestrahlte Emissionen bewertet werden. Eine Messung kann solche Einblicke nicht bieten.

Ebenfalls messtechnisch nur schwer darstellbar sind Toleranzanalysen. Mit Hilfe der Simulation können die Auswirkungen auf die EMV bewertet werden, die durch geometrische Abweichungen oder durch Schwankungen von Materialeigenschaften verursacht werden. Belastbare Anforderungen an ein robustes System können mit Hilfe simulationsgestützter Toleranzanalysen von Beginn der Entwicklung an definiert werden.

VOM EINFACHEN MODELL ZUM KOMPLEXEN SYSTEM DANK MODULAREM KONZEPT

Neben der direkten Einbindung des reduzierten Ersatzschaltbilds gibt es außerdem die Möglichkeit,
S-Parameter-Dateien in die Schaltungssimulation einzubinden. Diese können entweder aus einer 3D-Simulation oder sogar aus einer Messung stammen, falls eine Messung der S-Parameter-Matrix für das betreffende Bauteil zuverlässig möglich ist. Der Modellaufbau kann somit komplett modular erfolgen und der Komplexitäts- bzw. Detailgrad mit fortschreitender Entwicklungszeit gesteigert werden. Am Anfang der Entwicklung wird mit sehr einfachen Netzwerkmodellen gestartet, die sukzessive detailliert werden. Damit kann die eingangs erwähnte Notwendigkeit, EMV-Konformität von Anfang an im Blick zu haben, sehr einfach und wirtschaftlich umgesetzt werden.

Auch im 3D-Modell kann ein hybrider Ansatz verfolgt werden. So können Kondensatoren z.B. direkt im Modell berücksichtigt werden, oder es können Ports an die Stelle der Kondensatoren gesetzt werden. In der Netzwerksimulation können an diese Ports RLC-Netzwerke angeschlossen werden, die den Kondensator repräsentieren. Auf diese Weise ist eine sehr effiziente und schnelle Untersuchung mehrerer Kondensatorvarianten möglich, ohne die komplette 3D-Berechnung wiederholen zu müssen. Aufgrund der niedrigen Rechenzeit ist ein solches Modell also ideal für die Anwendung numerischer Optimier­ungs­verfahren, die ebenfalls in CST Studio Suite verfügbar sind.

ERST SIMULIEREN, DANN TESTEN – ZEIT UND GELD SPAREN

Dank der 3D-Simulation können virtuelle Prototypen der einzelnen Komponenten unmittelbar miteinander verglichen werden, um so die beste Lösung für das vorliegende System zu finden, bevor reale Prototypen hergestellt werden und die Freigabeversuche im EMV-Labor stattfinden. Das Risiko des Überschreitens der Grenzwerte im EMV-Versuch kann somit massiv reduziert werden. Dadurch werden unnötige Kosten sowie ein projektgefährdender Zeitverlust aufgrund zusätzlicher Entwicklungszyklen und Freigabetests vermieden.

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