Wie zuvor beschrieben, ist das Verformungsverhalten vieler Kunststoffe stark temperaturabhängig. Viele Kunststoffe relaxieren und verformen sich bei erhöhten Temperaturen wesentlich schneller. Temperaturabhängiges Verformungsverhalten kann in Abaqus mit der Williams-Landel-Ferry (WLF) oder der Arrhenius-Funktion berücksichtigt werden. So wird der Einfluss der Temperatur mit einer Modifikation der Zeitskala erfasst. Verformt sich der Kunststoff bei höheren Temperaturen schneller, ist die interne Zeit größer als die reale Zeit. Die Parameter beider Funktionen werden mit dem Keyword *TRF gesetzt.
Für Kunststoffe, deren Kriechverhalten nur unzureichend mit Prony-Reihen (lineare Viskoelastizität) beschrieben werden kann, ist in Abaqus das Parallel Rheological Framework (PRF) - Modell implementiert (nichtlineare Viskoelastiztät). Es wird mit *VISCOELASTIC, NONLINEAR verwendet und kann mit einem Reibelement im rheologischen Körper auch bleibende Verformungen modellieren. Des Weiteren kann Materialschädigung (Mullins-Effekt) berücksichtigt werden. Damit kann das Parallel Rheological Framework als ein erweitertes Maxwell-Wiechert-Modell angesehen werden (siehe oben).
Mit einem PRF-Modell kann der Anwender zwischen vier unterschiedlichen Kriechmodellen wählen:
- Power law model
- Power law strain-hardining model
- Hyperbolic-sine law model
- Bergstrom-Boyce model
Auch hier kann der Einfluss der Temperatur mit *TRF berücksichtigt werden.
Abschließend sei an dieser Stelle noch auf die Modelle:
- *HYPERFOAM und
- *LOW DENSITY FOAM
hingewiesen, mit denen das mechanische Verhalten stark kompressibler Schaumstoffe beschrieben werden kann.
MATERIALKALIBRIERUNG MIT ABAQUS
Abaqus stellt dem Anwender für „Zerner-Modelle“ (lineare Viskosität) eine Materialkalibrierung auf Basis der Fehler-Quadrat-Methode bereit. So können anstelle von Prony-Parametern mit *VISCOELASTIC, TIME = CREEP TEST DATA direkt einzelne Wertepaare von Kriechkurven eingegeben werden. Stehen Ergebnisse von Relaxationsversuchen zur Verfügung, kann alternativ TIME = RELAXATION TEST DATA verwendet werden. Selbst die Ergebnisse von zyklisch beanspruchten Kunststoffen (Stichwort: komplexer Schubmodul) können mit TIME = FREQUENCY DATA direkt genutzt werden.
EIN ISIGHT-SIMFLOW
In Bezug auf Kunststoffe können mit Abaqus als Standalone-Produkt nur Parameter von „Zerner-Modellen“ kalibriert werden. So hat die CENIT am Beispiel eines PRF-Modells einen Simflow (Simulation-Workflow) mit Isight erstellt, der die Kalibrierung von Materialmodellen ermöglicht. Im Folgenden sind die Kriechkurven eines Kunststoffes, der Aufbau des Isight-Simflow und die Parametervariation innerhalb der Optimierung dargestellt.
Die in Abb. 4 gezeigten Kriechkurven sind hier mit dem viskoelastischen Materialmodell nach Dalrymple [1] bestimmt. Er kalibrierte die Parameter für einen Polypropylen-Kunststoff. Der zugehörige Auszug aus dem Input-Deck ist in Abb. 5 gezeigt. Modelliert ist der Prüfkörper nach ISO 527-2 (Typ 1A), siehe Abb. 6 (Hinweis: vermasst ist ein Segment des symmetrischen Prüfkörpers). Er wird mit Zugspannungen von 10 MPa, 20 MPa und 30 MPa über einen Zeitraum von 1000 Stunden beansprucht. Zuerst wird in einem *STATIC-Step die Spannung schrittweise aufgebracht. Das Kriechen selbst ist anschließend mit einem *VISCO-Step berechnet, in dem dann die Viskoelastizität des Materials berücksichtigt wird.
Der in Abb. 7 gezeigte Simflow setzt sich der Reihe nach im Wesentlichen aus:
- einer Optimierungs-Komponente,
- einer Data Exchanger-Komponente,
- drei Abaqus-Komponenten,
- einer Script-Komponente und
- einer Data-Matching-Komponente
zusammen. Optimiert wird mit dem Downhill-Simplex-Verfahren. Die Startwerte und die Grenzen der Wertebereiche sind in Abb. 8 dargestellt. Zuerst werden mit der Data Exchanger-Komponente die Input-Decks bezüglich der Materialparameter modifiziert. Die Verläufe der Kriechverzerrungen werden mit 3 Abaqus-Komponenten berechnet, je eine Komponente für eine Spannungsintensität. Auch wenn die Abaqus-Komponenten hier in Reihe dargestellt sind, tauschen sie untereinander keine Ergebnisse aus. Alle Abaqus-Komponenten liefern innerhalb eines Optimierungslaufes für dieselben Design-Variablen Kriechkurven. Sie werden mittels Abaqus-Python ausgelesen und in Text-Dateien abgespeichert. Aufgerufen wird Abaqus-Python aus der Script-Komponente.
Mit der Data Matching-Komponente werden über die Kriechfunktionen gesehen die Summen der Fehlerquadrate in Bezug auf die „experimentell“ bestimmten Kriechverläufe berechnet, siehe Abb.9. Abschließend werden die drei Summen der Fehlerquadrate an die Optimierungskomponente weitergeleitet, die sie in Ihrer Zielfunktion gleichmäßig wichtet. Für die neun Design-Variablen sind insgesamt 1000 Optimierungsläufe angelegt. Der Auszug aus der in Abb. 10 dargestellten History zeigt, wie die Design-Variablen während der Optimierung verändert werden. Dem Auszug nach, wird in den Läufen 11 bis 22 zuerst der Einfluss der Design-Variablen A1 auf die Zielfunktion der Optimierung näher untersucht.
Literatur:
[1] Tod Dalrymple: Calibaration of Polypropylene – Washington Penn grade PPC3TF2-Black, unpublished, 2014.
Workshop:
Einführung in SIMULIA Isight