Strukturdynamik - Abaqus und sein NVH-Tool

Veröffentlicht 02.07.2020 | Aktualisiert 03.10.2022

Die Schwingung eines mechanischen Systems kann effizient im Frequenzbereich analysiert werden, wenn lineares Verformungsverhalten um einen Arbeitspunkt unterstellt werden kann.

Redaktionsleitung
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Senior Consulting 3DS-PLM | Redakteurin 3DS-PLM Technisches Magazin
Autor*in
Sven Reinstädler, Dr.-Ing.
Dr.-Ing. Sven Reinstädler
Consultant FEM 3DS-PLM

Als Ergebnis erhält man generalisierte Verschiebungen in Abhängigkeit der Erregerfrequenz der Belastung. Den generalisierten Verschiebungen sind Schwingungsmodi zugeordnet, die man mit der Eigenwertaufgabe zur Bewegungsgleichung berechnen kann. Da sich die Gesamtbewegung des mechanischen Systems aus einer Vielzahl an Schwingungsmodi zusammensetzt, ist die alleinige Auswertung von generalisierten Verschiebungen als primäre Beschreibungsvariablen oft unbefriedigend, so dass abschließend eine Rücktransformation in den Zeitbereich angestrebt wird.

Für die Analyse von Schwingungen im Frequenzbereich steht in Abaqus die "Steady-state dynamics, Modal Analysis" zur Verfügung, die zusammen mit dem NVH-Tool im Folgenden näher dargestellt wird. Basierend auf den generalisierten Verschiebungen und den Schwingungsmodi kann mit dem NVH-Tool die Bewegung einzelner Finite-Elemente-Knoten in der komplexen Zahlenebene mithilfe von Vektoren dargestellt werden. Mit Säulendiagrammen kann der Beitrag einzelner Schwingungsmodi zur Gesamtbewegung komfortabel ausgewertet werden. Abschließend wird ein Workaround beschrieben, mit dem die Schwingungen einzelner Finite-Elemente-Knoten alternativ im Zeitbereich dargestellt werden können.

In Abaqus werden Schwingungsmodi und zugehörige Eigenfrequenzen mittels "Frequency Analysis" berechnet. Für die numerische Analyse gedämpfter Systeme ist in der Edit-Step-Dialogbox "Use SIM-based linear dynamics procedures" in Kombination mit "Project damping operators" zu aktivieren (siehe Bild 1). Eine "Complex frequency Analysis" ist für nachfolgende Analyseschritte nicht erforderlich, es wird stets auf die Ergebnisse der "Frequency Analysis" zurückgegriffen.

Mit der "Frequency Analysis" ist eine ausreichende Anzahl an Schwingungsmodi zu berechnen. Dabei ist zu beachten, dass die Gesamtbewegung eines mechanischen Systems erst dann vollständig beschrieben ist, wenn alle Schwingungsmodi berücksichtigt wurden. In guter Näherung können Schwingungsmodi, die außerhalb des Frequenzbereiches der Belastung liegen, häufig vernachlässigt werden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass sich Schwingungsmodi im Allgemeinen über das gesamte mechanische System erstrecken. Sind ausgeprägte Spannungsgradienten infolge von Einzellasten abzubilden, sollten die Schwingungsmodi mit sogenannten "Residual-Modes" erweitert werden. Mit einem "Residual-Mode" wird das zu einem speziellen Lastbild gehörende Verschiebungsfeld erfasst, das mit einem vorgeschalteten "Static, Linear pertubation Step" berechnet wird (siehe Bild 2).

In der "Steady-state dynamics, Modal Analysis" sind im Wesentlichen der auszuwertende Frequenzbereich und die Position und die Intensität der harmonischen Belastung zu definieren. An dieser Stelle ist darauf hingewiesen, dass man mit einer "Steady-state dynamics, Modal Analysis" allein die stationäre Bewegung betrachtet wird. Dies unterstellt, dass Schwingungen infolge von Anfangsbedingungen (Verschiebung - Geschwindigkeit) bei gedämpften Systemen schnell abklingen.

Die Belastung ist in einer "Steady-state dynamics, Modal Analysis" mit komplexen Zahlen zu beschreiben. Der Realteil ist mit einer Cosinusschwingung, der Imaginärteil ist mit einer Sinusschwingung verbunden. Primäre Beschreibungsvariablen sind die zuvor angesprochenen generalisierten Verschiebungen, deren Verbindung zu den Verschiebungsfreiwerten des Finite-Elemente-Modells im Folgenden dargestellt wird.

Mit der "Frequency Analysis" wird die diskrete Form der Bewegungsgleichung aufgebaut. Sie besteht neben der Steifigkeitsmatrix aus der Massenmatrix und einer etwaigen Dämpfungsmatrix. Die Schwingungsmoden haben als vektorielle Größen die Dimension der diskretisierten Bewegungsgleichung. Multipliziert man die einzelnen Matrizen von Links und von Rechts mit einer Schwingungsform erhält man skalare Größen, die als Masse, Dämpferkonstante und Federsteifigkeit eines fiktiven Ein-Masse-Schwingers interpretiert werden können. Die generalisierte Verschiebung ist der Freiheitsgrad des fiktiven Ein-Masse-Schwingers. Sind die generalisierten Verschiebungen berechnet, erhält man die Systemantwort im Zeitbereich, wenn man diese mit der jeweils zugehörigen Schwingungsform multipliziert. Der Weg von der diskretisierten, mehrdimensionalen Bewegungsgleichung bis hin zur Bewegungsgleichung des fiktiven Ein-Masse-Schwingers ist in Bild 3 noch einmal zusammenfassend dargestellt.

Fordert man in Abaqus innerhalb des "Steady-state dynamics, Modal Step" generalisierte Verschiebungen als History-Variable an, kann man sie im Modul Visualization über die Erregerfrequenz plotten. Der Zugang zu einzelnen Verschiebungen ausgewählter Finite-Elemente-Knoten ist komfortabel über das NVH-Tool gegeben. Es sei erwähnt, dass man einzelne Verschiebungen auch über Funktionen des Moduls Visualization darstellen kann. Das NVH-Tool empfiehlt sich, da man mit diesem zugleich die Systemantwort in der komplexen Zahlenebene darstellen kann.

Wählt man über das Hauptmenü den Eintrag:
          Plug-ins > Abaqus > NVH > Compute Mode Contribution Factors...
aus, kann für einen speziellen Finite-Elemente-Knoten die gewünschte Verschiebungskomponente ausgewählt werden (siehe Bild 4).

 

Ist das NVH-Tool über die Schwingungsmoden gelaufen, können über den Menüpunkt:
        Plug-ins > Abaqus > NVH > Plot Mode Contribution Factors...
diverse Graphiken erstellt werden. Nachdem man die Darstellungsoption gewählt hat (hier Magnitude of MCF) kommt man mit "Continue..." in die zentrale Dialogbox des NVH-Tools. Im Feld "Y Components" wählt man die Schwingungsmoden aus, die graphisch aufbereitet werden sollen, im Feld "Frequency" legt man die Erregerfrequenz fest, zu der die Systemantwort dargestellt werden soll. Interessant ist vor allem der "Bar Graph" und der "Vector Plot". Wird die Höhe einer der in Bild 5 dargestellten Säulen durch die Gesamthöhe aller Säulen geteilt, erhält man den Einfluss einer speziellen Eigenform an der Gesamtlösung. Im "Vector Plot" kann man mit dem resultierenden Vektor (Vector - Total sum) komfortabel die Amplitude und die Phasenverschiebung der stationären Bewegung ablesen (siehe Bild 6). Die Länge des resultierenden Vektors entspricht der Amplitude der Schwingung. Über das Verhältnis zwischen Imaginärteil und Realteil kann deren Phasenverschiebung berechnet werden. Damit ist die Systemantwort für einen Finite-Elemente-Knoten vollständig beschrieben.

Abschließend wird ein Workaround vorgestellt, mit dem Schwingungen im Zeitbereich graphisch dargestellt werden können. Mit
        Tools > XY Data > Create > ASCII file
wird zunächst eine Matrix, bestehend aus diskreten Zeitpunkten, eingelesen (siehe Bild 7). Mit der zuvor ermittelten Amplitude und Phasenverschiebung kann die Schwingung im Zeitbereich als Datenfeld abgespeichert und geplottet werden. Neben der Option "Ascii file" wird dazu die Option "Operate on XY data" verwendet. Die zugehörige Dialogbox enthält die bereits angelegten Datenfelder, auf die eine Vielzahl an Operationen angewendet werden können. So auch der Cosinus-Operator, der zu den dargestellten Schwingungen führt (siehe Bild 8). Es ist darauf hinzuweisen, dass die Amplituden und Phasenverschiebungen hier in keinem Zusammenhang mit dem  "Vector Plot" in Bild 6 stehen. Sie sind eigenständig festgelegt.

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