Systems Engineering und Model-Based Systems Engineering: Werkzeug oder Methode?

Veröffentlicht 24.11.2021

Systems Engineering und insbesondere Model Based Systems Engineering (MBSE) sind zunehmend wichtige Themen in Branchen wie Transport, Mobilität oder Industrieanlagen. Wir liefern Antworten auf Ihre Fragen, damit Sie wichtige Aspekte zu MBSE eindeutig zuordnen können.

Redaktionsleitung
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Senior Consulting 3DS-PLM | Redakteurin 3DS-PLM Technisches Magazin

SYSTEMS ENGINEERING UND MBSE   

In der letzten Ausgabe des Technischen Magazins haben wir über Requirements Engineering & Management und Traceability im Kontext des V-Modells gesprochen. Diese Themen sind wichtige Bestandteile des Systems Engineering. In diesem Artikel werden wir die Unterschiede zwischen Systems Engineering und MBSE erklären. Wir beschäftigen uns mit der Frage, ob MBSE ein Werkzeug oder eine Methode ist und welchen Nutzen man aus den Methoden von Systems Engineering ziehen kann.

AM ANFANG WAR DIE IDEE...

Das grundsätzliche Merkmal von Systems Engineering ist ein Problem rekursiv zu granulieren, bis die einzelnen Teile den Status erlangen, der es ermöglicht, eine Designlösung vorzuschlagen. Die Summe der Einzellösungen bildet die Grundlage, um die Gesamtheit der Lösung für das vorliegende Problem zu bilden [4].

Um Lösungen auf der Komponentenebene oder auf der Systemebene zu finden, brauchen wir zwar System-Modelle, deren Erstellung ist aber nicht das eigentliche Ziel. Mit den Systems-Engineering-Prozessen will man  erreichen:

... die Bedürfnisse des Kunden auf effektive und effiziente Weise zu erfüllen [6]

Die zunehmende Produktkomplexität durch die Einbindung von Software und dem steigenden Anteil von Elektronikkomponenten in neuen Produkten treiben den Bedarf an schnellerer Innovation und Produktentwicklung an, um Wettbewerbsvorteile zu erhalten. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass es eine große Herausforderung ist, die Bedürfnisse der Interessengruppen zu erfüllen. Mit den Methoden und Werkzeugen liefern Systems Engineering und MBSE Funktionen zum Verständnis und zur Bewältigung der Produktkomplexität und des damit verbundenen Entwicklungsaufwands. Diese Methoden basieren auf der Erstellung von Modellen mit dem Zweck z.B. die Modellierung der Systemarchitektur auf verschiedenen Detailebenen aus unterschiedlichen Blickwinkeln abzubilden.

DER SYSTEMENTWURF BEI SYSTEMS ENGINEERING BASIERT AUF SYSTEM-MODELLEN. WIE UNTERSCHEIDET SICH MBSE NUN VON SYSTEMS ENGINEERING?

Seine Anfänge hatte Systems Engineering als ein dokumentenbasierter Bereich. Anforderungen, Modelle und alle produktbezogenen Informationen werden in mehreren Dokumenten festgehalten. Die Rückverfolgbarkeit zwischen Anforderungen und Dokumenten erfolgt nur in Textform. Dies bedeutet, dass Änderungen an den Produktobjekten manuell vorgenommen werden müssen, was ein anstrengender und fehleranfälliger Prozess ist. Die Aufrechterhaltung der Konsistenz und Kohärenz von Produkt- und Projektinformationen ist ebenfalls mühsam [1].

Dies änderte sich, als die Unified Modelling Language (UML - die Sprache zur Entwicklung von Software) um Modellelemente erweitert wurde, die typischerweise für Modelle im Systems Engineering verwendet werden. Diese Erweiterung der UML wird als Systems Modelling Language (SysML) bezeichnet. Es handelt sich um:

"eine allgemeine, grafische Modellierungssprache für die Spezifizierung, die Analyse, den Entwurf und die Verifizierung komplexer Systeme, die Hardware, Software, Informationen, Personal, Verfahren und Einrichtungen umfassen können." [5]

Mit der Entwicklung von SysML und Software, die diese Sprache unterstützt, können Systems-Engineering-Aktivitäten in einer software- und datenbankgestützten Umgebung durchgeführt werden, in der das System-Modell als die „single source of truth“ betrachtet wird. Jedes Objekt hat eine eindeutige ID. Auf diese Weise werden Änderungen an einem einzelnen Objekt automatisch durchgängig ersetzt. Die Systemarchitektur sowie die Funktionsgliederung können nach Bedarf geändert werden. Die Historie der Änderungen kann gespeichert und bei Bedarf überprüft werden.

WELCHEN NUTZEN HABE ICH ALS ZULIEFERER?

Da die multidisziplinäre Produktentwicklung immer mehr in den Vordergrund rückt, haben viele OEMs angefangen, MBSE aktiv zu verwenden. Um das komplette Potential nutzen zu können, müssen auch OEM-Zulieferer die System-Modelle verstehen und in der Lage sein, ggf. diese Modelle selbst aufbauen und erweitern zu können. Je früher sie lernen die benötigten MBSE-Werkzeuge zu nutzen, umso reibungsloser sind heute schon die zukünftigen Anforderungen in ihren Prozessen abzubilden.

"When the rate of external change exceeds the rate of internal change, the end of your business is in sight." Jack Welch, former Chairman & CEO of General Electric

Eine interessante Fallstudie über einen Automobilzulieferer, der sich für die Umstellung vom dokumentenbasierten Ansatz auf MBSE entschied, finden Sie hier.

Weitere Vorteile von MBSE bezogen auf die an der Produktentwicklung beteiligten Parteien haben wir in der folgenden Tabelle für Sie zusammengefasst:

WIE STARTET MAN MIT MBSE?

Wenn ein Unternehmen beschließt, MBSE-Methoden einzusetzen, sind folgende vier Stufen zu empfehlen:

  1. Die Mitarbeiter werden zu den Prinzipien und Methoden des Systems Engineering geschult.
  2. Fähigkeiten zum Verständnis der Sprache SysML müssen aufgebaut oder vertieft werden.
  3. Ein Software-Tool, das SysML unterstützt, sollte auf der Grundlage der Bedürfnisse des Unternehmens ausgewählt werden.
  4. Die Mitarbeiter sollten geschult werden, um das Tool effizient zu nutzen.
AUSWAHL DES MBSE-TOOLS

Das System-Modell entwickelt sich in Abhängigkeit vom Design und der Implementierung der Komponenten. Bei der Auswahl des Werkzeugs ist es wichtig, die Möglichkeit zu berücksichtigen, Informationen über den Stand des Produktkomponentenentwurfs mit dem System-Modell auszutauschen. Somit werden Datensilos vermieden.

Das CATIA Magic Portfolio bietet eine benutzerfreundliche und effektive Lösung für den Austausch von Informationen über Systemkomponenten, da Anforderungen aus verschiedenen Anforderungsmanagement-Werkzeugen mit dem Systemmodell synchronisiert werden können. Das Systemmodell kann außerdem mit den Produktkomponenten in der 3DEXPERIENCE-Plattform verknüpft werden, so dass die Rückverfolgbarkeit zwischen allen Produktobjekten gewährleistet werden kann.

ELEMENTARE FRAGE: IST MBSE EIN WERKZEUG ODER EINE METHODE?

INCOSE definiert Model-Based Systems Engineering als die formale Anwendung der Modellierung zur Unterstützung der Systemanforderungen, des Entwurfs, der Analyse und der V&V-Aktivitäten, die in der konzeptionellen Entwurfsphase beginnt und sich über die gesamte Entwicklung und die späteren Lebenszyklusphasen erstreckt. Nach dieser Definition und allen Informationen, die Sie in diesem Artikel lesen konnten, kann man kurzum zusammenfassen:

MBSE ist ein ein Werkzeug, um ein erfolgreiches System zu realisieren, welches die Anforderungen der Stakeholder erfüllt.

Referenzen:

[1] Adedjouma, M., Thomas, T., Mraidha, C., Gerard, S., & Zeller, G. (2016). From Document-Based to Model-Based System and Software Engineering. Joint Proceedings of EduSymp and OSS4MDE 2016, 1835, 27.

[2] Friedenthal, Sanford, Regina Griego, and Mark Sampson. "INCOSE model based systems engineering (MBSE) initiative." INCOSE 2007 symposium. Vol. 11. 2007.7

[3] Haskins, C. (2011), 4.6.1 A historical perspective of MBSE with a view to the future. INCOSE International Symposium, 21: 493-509.

[4] Sheard, S., Cook, S., Honour, E., Hybertson, D., Krupa, J., McEver, J., ... & White, B. (2015). A complexity primer for systems engineers. INCOSE Complex Systems Working Group White Paper, 1(1), 1-10.

[5] Object Management Group (2021) What is SysML? Retrieved on 25.09.2021. www.omgsysml.org/what-is-sysml.htm  

[6] Witte, H. ed. (2015). INCOSE At Twenty Five. International Council on Systems Engineering. San Diego, USA

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