Einführung in Systems Engineering

Veröffentlicht 07.07.2021

In den kommenden Ausgaben beschäftigen wir uns mit praktischen Anwendungen für die Produktentwicklung im Bereich Systems Engineering. Wir stellen Ihnen z.B. Systemlösungen vor, um Anforderungen optimal zu managen. In diesem Artikel verknüpfen wir theoretische Modelle mit praktischen Beispielen und zeigen Ihnen wo Requirements Engineering & Requirements Management im PLM-Prozess positioniert sind. Dabei wird deutlich warum Traceability für die Produktentwicklung entscheidend ist, welche Lösungen Dassault Systèmes in diesen Bereichen bietet und wir ergänzen das um ein paar Tipps und Tricks.

Redaktionsleitung
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Dipl.-Ing. Nicole Meyer
Senior Consulting 3DS-PLM | Redakteurin 3DS-PLM Technisches Magazin

Die links aufgeführten Schlagworte begegnen uns heutzutage immer öfter und sind schon lange keine Zukunftsvisionen mehr. Produkte, wie zum Beispiel ein Fahrzeug, das früher hauptsächlich mechanisch gesteuert wurde, wird heute von Software und elektrischen und elektronischen Komponenten dominiert. Der Komplexitätsgrad erhöht sich stetig, nicht nur weil die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften auch in einer globalen Produktentwicklung gewährleistet werden muss. Es sprechen viele Gründe dafür, die regelmäßig auch in engineeringnahen Medien und Foren genannt werden. Um diese Komplexität zu beherrschen, bedient man sich immer mehr den Methoden des Systems Engineering. Diese sind zunächst unabhängig vom Toolset. In diesem Zusammenhang taucht oft das „V-Modell“ in verschiedenen Ausprägungen auf.

V-MODELL

Zur Steuerung der Aufgaben, die mit Produkten, ihrer Entwicklung und ihrem Management über den gesamten Produktlebenszyklus verbunden sind, wurde in den frühen 1960er Jahren das V-Modell vorgeschlagen [1]. Das V-Modell ist ein Vorgehensmodell für die Produktentwicklung und kann flexibel an die Art des Projektes angepasst werden. Die im Vorgehensmodell skizzierten Schritte sind iterativer Natur [2]. Sie liefern Planungssicherheit und verbessern die Qualität der Produkte.
Die Produktentwicklungsaktivitäten beginnen mit der Erhebung der Anforderungen, bei der ein Pflichtenheft für die Interessensgruppen, die Stakeholder, erstellt wird. Diese Anforderungen werden weiter in Produkt-/Systemanforderungen aufgeschlüsselt und bilden die Grundlage für die Systemarchitektur. Mit der Entwicklung der Produktarchitektur werden die Systemanforderungen in Designanforderungen zerlegt, die komponentenspezifische Informationen enthalten. Auf dieser Basis können Systemkomponenten (elektrisch/elektronisch, mechanisch, Software) implementiert werden. Während sich die Systemarchitektur und das Design entwickeln, können auf jeder Ebene neue Anforderungen hinzugefügt werden. Von hoher Wichtigkeit sind daher die Dokumentation und Pflege der Anforderungen.
Wenn die Implementierung der Systemelemente fortschreitet, werden diese auf ordnungsgemäße Integration getestet. Es wird geprüft, ob die Komponenten nach Plan zusammenwirken und ihr Verhalten den System- und Designanforderungen entspricht. Dies ist auf der rechten Seite des V-Modells abgebildet. Zur Qualitätssicherung muss das Endprodukt hinsichtlich der Bedürfnisse und Anforderungen der Stakeholder validiert werden, um sicherzustellen, dass das richtige Produkt gebaut wurde. Dann kann das Produkt ausgeliefert und in seiner vorgesehenen Umgebung eingerichtet werden.

REQUIREMENTS ENGINEERING & MANAGEMENT

Die Anforderungserhebung steht an der Spitze der Produktentwicklungsaktivitäten. Es ist der "Prozess des Suchens, Erfassens und Konsolidierens von Anforderungen aus verfügbaren Anforderungsquellen. Er kann die Rekonstruktion oder Erstellung von Anforderungen beinhalten" [3].

Anforderungen der unterschiedlichen Stakeholder müssen erfasst und analysiert werden, um sicherzustellen, dass sie für das zu entwickelnde Produkt relevant sind. Sie sind während des gesamten Produktlebenszyklus zu verwalten, um Änderungen zu verfolgen, reproduzieren und an die erforderlichen Parteien zu kommunizieren. Eine ordnungsgemäße Anforderungserstellung und -verwaltung trägt dazu bei, dass Abweichungen so früh als möglich erkannt werden können, damit das nach allen Kriterien optimale Produkt gebaut werden kann, das auch den Sicherheitsnormen/ -vorschriften entspricht. Der Aufwand und die benötigte Zeit, um unerkannte Fehler und Abweichungen zu korrigieren, steigen in den späteren Phasen des Produktlebenszyklus exponentiell an (siehe Abbildung 2). Daher sollten Anforderungen nicht nur richtig erstellt und verwaltet werden, sondern idealerweise auch so früh wie möglich getestet und Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Artefakten sichtbar sein.

DIE ROLLE DES "REQUIREMENT ENGINEERS" AUF DER 3DEXPERIENCE PLATTFORM

Als einen "natürlichen Einstieg" ins Systems Engineering stellen wir Ihnen im folgenden Video die Komponenten Requirements Engineering und Management auf der 3DEXPERIENCE Plattform vor. Sie lernen die Oberfläche des Widgets und das Verfahren kennen.

TIPPS UND TRICKS ZU REQUIREMENTS MANAGEMENT

Nachfolgend ist eine Auswahl nützlicher Tipps und Tricks zu Funktionen im Requirement Engineering aufgeführt, die das Arbeiten erleichtern oder eine schnelle Nachverfolgung ermöglichen, wenn Objekte ausgetauscht werden. Unsere aufgeführten Tipps & Tricks zeigen nur eine kleine Auswahl nützlicher und effizienter Funktionen:

TIPP 1:

Eine Anforderungsspezifikation wurde mehrfach revisioniert. Ich möchte mit einer Revision arbeiten, die sich im Status „In Work“ befindet. Wie erhalte ich eine Übersicht über die Revisionen und Duplikate?

Die Übersicht über Revisionen, Duplikate, woher sie stammen und deren Lebenszyklusstadien können unter dem Lebenszyklus-Tab mit der Option Revisionen eingesehen werden.

TIPP 2:

Auf den Anforderungen wurde eine Norm mehrfach zitiert und dabei wurden nur die Nummern erfasst. Ich möchte, dass der Bauteilverantwortliche, der die Anforderung implementieren muss, auf die Norm unkompliziert zugreifen kann. Wie kann ich Dateien den Anforderungsspezifikationen anhängen?

An Anforderungen bzw. Anforderungsspezifikationen können Dokumente angehängt werden, die detaillierte oder weitere Informationen zum Aufbau der Anforderung enthalten können. Wechseln Sie dazu einfach zu den Eigenschaften unter dem Kategorien-Menü und dann auf die Registerkarte Dateien. Unter Optionen, in der Spalte Aktion, können die Dokumente verwaltet werden (Revision, Check-In/Check-Out, Sperren, Download).

 

TRACEABILITY

Die Rückverfolgbarkeit ist übergreifend für viele Disziplinen ein unverzichtbares Element für komplexe Systeme/Produkte. Die ISO9000 definiert Rückverfolgbarkeit als: "... die Fähigkeit, die Geschichte, die Anwendung oder den Ort dessen, was in Betracht gezogen wird, nachzuverfolgen" [5]. Das übergeordnete Ziel in der Produktentwicklung ist es, jede Produktkomponente auf mindestens eine Funktion zurückzuführen, die aus den Bedürfnissen und Anforderungen der Interessensgruppen abgeleitet wurde. Daher ist die Rückverfolgbarkeit von größter Bedeutung, um "nachzuvollziehen, wie sich die Anforderungen entwickeln und schließlich in einer Implementierung  realisiert werden" [6].

Bei sicherheitskritischen Systemen mit geringer Fehlertoleranz müssen alle Anforderungen durch Komponenten des Systems abgedeckt werden. Die "Traceability" stellt sicher, dass die Absicherung gewährleistet ist. Außerdem können redundante Produktkomponenten und der damit verbundene Entwicklungsaufwand früher erkannt werden. Ein weiterer Nutzen der Traceability ist die Möglichkeit, Fehlerquellen zu lokalisieren. Auf diese Weise können alle vom Problem betroffenen Produktkomponenten analysiert und diese bei Bedarf geändert werden. Die Historie der Änderungen wird gespeichert, so dass die an den Produktkomponenten durchgeführten Aktivitäten bei Bedarf eingesehen werden können.

DIE ROLLE DES "SYSTEMS TRACEABILITY ANALYST" AUF DER 3DEXPERIENCE PLATTFORM

Als einen weiteren wichtigen Bestandteil im Kontext Systems Engineering stellen wir Ihnen im folgenden Video das Arbeiten mit den Rollen Systems Traceability Analyst und Systems Traceability Widget unter der 3DEXPERIENCE Plattform vor. In verschiedenen Ansichten werden Anforderungen mit den Objekttypen verknüpft und nach Bedarf analysiert.

TIPPS UND TRICKS ZU SYSTEMS TRACEABILITY WIDGET

Wie im vorherigen Abschnitt, so ergänzen wir auch hier das Anwendungsvideo zum Systems Traceability Widget um nützliche und effektive Anwendungen.

TIPP 1:

Ich habe als Anforderungsspezifikation eine Microsoft Word-Datei bekommen. Darin ist auch ein Schaltplan als XML-Datei enthalten. Die Inhalte müssen sowohl miteinander als auch zu der Produktstruktur verlinkt werden. Kann ich Dokumente, die außerhalb der Plattform erstellt wurde, mit Objekten verknüpfen?

Ja, es ist möglich, Inhalte aus Dokumenten unterschiedlicher Dokument-Typen zu extrahieren. Das können z.B. Microsoft Word, Excel, DOORS oder XML-Dateien sein. Extrahierte Inhalte können dann mit 3DX-Objekten verknüpft werden, z.B. mit der physischen Produktstruktur im Scope. Das Pattern Objekt ermöglicht, den Dokumentinhalt zu analysieren und seine  Inhalte davon zu extrahieren. Pattern werden unter der gleichnamigen Kategorie Patterns in dem Strukturbaum oder unter einem Lesezeichenordner im Systems Traceability Widget erstellt. Das Widget bietet Vorlagen für eine Vielzahl von Datentypen, die entsprechend der Dokumentstruktur geändert werden können.

TIPP 2:

Meine Produktstruktur beinhaltet instanziierte Komponenten. Manche Instanzen müssen alleine, andere als Gruppe mit einem Objekt verlinkt werden. Muss für jede Instanz ein Link erzeugt werden oder geht dies auch schneller?

Das Widget bietet mehrere Linktypen, mit denen man effizienter arbeiten kann. Wenn ein Benutzer Instanzen einer physischen Produktstruktur verknüpfen möchte, so werden beim Verknüpfungstyp RefImplements alle Instanzen eines Elementes automatisch mit dem Zielobjekt verknüpft. Mit OccImplements wird nur die ausgewählte Instanz mit dem Zielobjekt verknüpft. Diese Verknüpfungstypen liefern Flexibilität und die Anwender sparen dadurch Zeit.

 

Weitere interessante Komponenten für die einfache und anwenderfreundliche Umsetzung zu Systems Engineering Methoden stellen wir Ihnen in den kommenden Ausgaben des 3DS-PLM technischen Magazins vor. Gerne beantworten wir Ihre Fragen: meineFrage@cenit.com

Quellen:

[1] Verein der deutsche Ingenieure (2020) VDI 2206 Entwicklung cyber-physischer mechatronischer Systeme (CPS) Beuth Verlag GmbH, URL: https://www.vdi.de/richtlinien/details/vdivde-2206-entwicklung-cyber-physischer-mechatronischer-systeme-cpms

[2] Weilkiens, Lamm, Roth, Walker (2016) Model-Based Systems Architecture. John Wiley & Sons

[3] L. Kaiser (2013) diss. Rahmenwerk zur Modellierung einer plausiblen Systemstruktur mechatronischer Systeme. Universität Paderborn

[4] Eigner, Martin u. Ralph Stelzer (2009) Product Lifecycle Management, Ein Leitfaden für Product Development und Life Cycle Management, Springer

[5] International Organizational for Standardization. (1992). ISO 9000: International standards for quality management. Geneva, Switzerland

[6] Sinha et al. (2018) TORUS: Scalable Requirements Traceability for Large-Scale Cyber-Physical Systems. ACM Transactions on Cyber-Physical Systems 3(2)

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